Wenn die Gleichberechtigung baden geht

Aufsatz von Hajo Betz

Ausgehend von den Äußerungen von Rainer Brüderle gegenüber einer Journalistin in seinem Begleittross ist erneut eine Sexismus- und Gleichstellungsdebatte in Deutschland entbrannt. Viele unterstellen auch den Piraten ein entsprechendes geschlechterdiskriminierendes Verhalten. Gemäß eigener Auffassung sind die Piraten jedoch postgender, wobei es so zu sein scheint, dass viele Menschen mit diesem Begriff nicht wirklich umzugehen wissen.

Postgender bedeutet, dass alle Menschen unabhängig vom Geschlecht die gleichen Rechte besitzen.

Problematisch wird die Diskussion aber auch dadurch, dass speziell aus der feministischen Ecke immer mal wieder über eine entsprechende Frauenquote sowohl in den Parteien als auch in den Parteiämtern diskutiert wird. Aber nach piratigem Selbstverständnis ist eine entsprechende Quotenregelung mit dem gleichzeitigen Gebot der Gleichberechtigung nicht vereinbar, denn gemäß dem Gleichheitsgrundsatz sind entsprechende Ämter und Positionen grundsätzlich nur nach der persönlichen Qualifikation unabhängig von Geschlecht, Religion oder anderen Nebensächlichkeiten zu vergeben.

So kämpfen die Frauen seit Jahren darum, auch die letzte männliche Bastion zu stürmen, was wenigstens im deutschen Arbeitsrecht 1994 mit der Öffnung von Bauberufen für Frauen auch gelang. Wer eine Quote das Wort redet, muss dann aber auch akzeptieren, dass eine entsprechende Männerquote in von Frauen dominierten Berufen notwendig ist.

Allerdings kommt in der öffentlichen Diskussion kaum jemand auf die Idee, auch entsprechende Männerquoten zu fordern.

Bei dem Beruf der Hebamme mag es ja noch jedem einleuchten, warum dieser Beruf üblicherweise von Frauen ausgeübt wird. Tatsächlich gibt es in ganz Deutschland nur einen einzigen Mann, der als Entbindungspfleger (die männliche Form von Hebamme) tätig ist.

Von den Müttern wird Jens Unger i.d.R. akzeptiert. Allerdings sieht er sich regelmäßig Anfeindungen von anderen Hebammen ausgesetzt. Entbindungspfleger ist wohl eine Arbeit, die Berufsberater nicht auf der Auswahl haben, wenn sie mit jungen Männern über ihre Berufsperspektiven sprechen.

Ganz ähnlich sieht es in erzieherisch tätigen Berufen aus. Nur sehr wenige Männer sind in den entsprechenden Berufsgruppen tätig. Jede Quote würde dazu führen, dass die wenigen Männer in Erzieherberufen sehr schnell in entsprechende Führungspositionen von Schulen oder Kindertagesstätten aufsteigen würden.

Gänzlich unverständlich ist jedoch, warum ausgerechnet bei den Gleichstellungsbeauftragten in ganz Deutschland kein einziger Mann zu finden ist. Auch und gerade hier täte eine Männerquote gut. Oder ist es etwa doch so, wie von Birgit Kelle am 06.08.2012 im Fokus zusammenfasst: „Nach außen Gleichstellung, von innen Feminismus“.

Birgit Kelle unterlegt diese Behauptung auch mit entsprechenden Zahlen. „Wo Gleichstellung draufsteht, ist Frau drinnen. Mehr als 1900 kommunale Frauen- und Gleichstellungsbüros auf der einen Seite, Männerbeauftragte 0. Über 100 Lehrstühle für Frauen- und Genderforschung, Lehrstühle für Männerforschung 0“

Für eine Bewegung, die eingetreten ist, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu erreichen, ist dies eine Kapitulationserklärung. Bei der Gleichstellungspolitik wird seit 15 Jahren wie eine heilige Kuh die alleinige Benachteiligung der Frau gehegt. Tatsache ist dabei, dass aber auch Männer Benachteiligungen erleben, wenn auch anders als Frauen.

Stelle man sich doch nur einmal vor, Frauen würden die Ranglisten bei Selbstmorden, Obdachlosigkeit, Herzinfarkten, Arbeitsunfällen, Todesfällen im Beruf, eine geringere Lebenserwartung, häufigeres Sitzenbleiben, häufigerer Schulabgang ohne Schulabschluss, höhere Prozentzahlen an Verhaltensauffälligkeiten oder einfach nur als Sorgenkinder auf den Schulen auffallen, prompt würden sofort alle politisch Verantwortlichen gemäß dem akzeptierten gesellschaftlichen Rollenmuster gesetzgeberische Aktivitäten starten, um die entsprechende Benachteiligung auszugleichen.

Aber tatsächlich sind es ja nur die Männer, die die o.g. Statistiken anführen. Und während es allenthalben Frauenhäuser und Mütterberatungss­tellen gibt, gibt es keine entsprechenden Angebote für Männer. Deshalb sprießen überall selbstorganisierte Vätervereine aus dem Boden, weil immer mehr Trennungen immer mehr verzweifelte Väter ohne Umgangsrecht mit ihren Kindern zurücklassen.

Im Familienministerium wurde 2009 das Referat für Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer eingerichtet. Doch während jede Kleinstadt ihren Frauennotruf und die Gleichstellungsbeauftragte im Telefonbuch führt, findet man über das einzige Männerreferat in Deutschland nicht einmal als Kontakt auf der Homepage des Ministeriums.

Aber es gilt ja als politisch korrekt, wenn den Frauen nur die Opfer-, nicht aber die Täterrolle zugeschrieben wird.

Im Gegensatz dazu wird in einer Studie des Bundesfamilienministeriums von 2006 auch und gerade im Bereich des sexuellen Missbrauchs festgestellt: “Um daran zu glauben, dass eine Frau ihr eigenes Kind sexuell missbrauchen würde, muss ein Mensch einflussreiche Stereotypen über Mutterschaft und die Mutter-Kind-Beziehung anzweifeln, die unsere Gesellschaft hegt und preist. Es fällt schwer, das Klischee einer vom Wohlwollen und Fürsorge geprägten Mutter-Kind-Beziehung aufzugeben, selbst wenn unsere persönlichen Erfahrungen im scharfen Gegensatz zu diesem Ideal stehen.“

Dieser Studie ist auch zu entnehmen, dass Gewalt gegen Männer durch Frauen ebenso weit verbreitet ist wie umgekehrt. Allerdings wird das Problem systematisch totgeschwiegen oder kleingeredet.

Warum soll denn die Hälfte der Menschheit nur deswegen besser sein, weil sie Frauen sind?

Festzuhalten bleibt auch, dass Sexismus nicht nur ein Geschäft irgendwelcher Männer ist, sondern auch eine Alice Schwarzer dem einzigen Männerbeauftragten in der Schweiz lediglich gutes Aussehen attestiert. Wer jemals in einer Faschingshochburg als Mann in eine Ansammlung angetrunkener Frauen geraten ist, kann durchaus über verstörende Erlebnisse berichten. Dagegen steht selbst ein Rainer Brüderle am Ende noch wie ein Gentleman alter Schule dar.

Wenn wir also über Sexismus und Gleichberechtigung reden müssen, dann müssen wir alle Aspekte auf den Tisch bringen, auch diejenigen, die Frauen nur ungern hören. Dann muss thematisiert werden, warum Jungen in der Schule mehr Probleme haben, warum bei Sorgerechtsstreitigkeiten 90 % der Mütter das Sorgerecht bekommen und warum Frauen die alleinige Deutungshoheit haben sollen, wann in einem Flirt die Grenze zur Belästigung überschritten ist. Wenn wir das Fass aufmachen, dann bitte ganz.

Es muss doch gerade im Sinne der Gleichberechtigung möglich sein, dass Männerinteressen genauso klar und selbstverständlich von Männern artikuliert werden dürfen wie Fraueninteressen von Frauen.

Alle Eltern sind hier aufgefordert, für eine wirkliche Gleichberechtigung zu sorgen. Schließlich sind wir nicht nur die Eltern von Töchtern, sondern eben auch von Söhnen. Und diese Söhne haben die gleichen Chancen verdient wie ihre Schwestern.