Wohl alle Menschen haben mit Abscheu und Entsetzen auf die terroristischen Anschläge in Paris reagiert.
Aber ohne auch nur die geringste Schamfrist einzuhalten – die Tatorte waren noch nicht aufgeräumt – wird von Seiten der Politik und Sicherheitsbehörden nach mehr Überwachung, mehr Vorratsdatenspeicherung (die sich jetzt Mindestspeicherfrist nennt) und einem Verschlüsselungsverbot gerufen.
Diese Forderung erfolgt dabei unisono und über alle Ländergrenzen hinweg.
Nur dadurch, dass dieses Mantra zwanghaft wiederholt wird, wird es nicht wahrer.
Fakt ist: Schon vor den Anschlägen gingen die Überwachungsbefugnisse der französischen Sicherheitsbehörden weit über das hinaus, was in Deutschland auch nur denkbar wäre. Trotzdem konnten die Anschläge nicht verhindert werden.
Mindestens sieben der Attentäter von Paris waren der Polizei als gewaltbereite Islamisten bekannt. Statt nun festzustellen, dass die Sicherheitsbehörden in der Überwachung dieser bekannten Gefährder versagt haben, wird nun eine weitere flächendeckende Überwachung der gesamten Bevölkerung gefordert.
Die Terroristen haben im Klartext, d.h. unverschlüsselt, kommuniziert. Der Hauptverantwortliche der Terroranschläge hat im Frühjahr 2015 in der Zeitung DABIQ, einem Hochglanzmagazin für radikale Muslime (sozusagen der Playboy der Jihadisten), ein Interview gegeben und dabei mehr oder weniger eine Blaupause der Anschläge von Paris offengelegt.
Ganz offensichtlich sind unsere Sicherheitsbehörden so damit beschäftigt, normale Bürger abzuhören, dass ihnen keine Zeit mehr bleibt, einschlägige Zeitungen zu lesen und auszuwerten.
Die Attentäter von Paris waren gebürtige Belgier und Franzosen (wenn auch mit Migrationshintergrund). Die Anschläge von Paris werden dennoch zum Anlass genommen, die Asyldebatte zu befeuern.
Die heute von Politik und Sicherheitsdiensten geforderten Instrumente haben damit ihre Untauglichkeit zur Verhinderung von Terror bewiesen.
Statt die bestehenden Datenquellen vernünftig auszuwerten, also die Nadel im Heuhaufen zu finden, sind die Sicherheitsbehörden damit beschäftigt, den Heuhaufen immer größer zu machen, worauf, das ist jedem vernünftig denkenden Menschen klar, sich die Suche nach den relevanten Nadeln immer schwieriger gestaltet.
Betrachtet man retrospektiv die letzten fünfzehn Jahre, muss man feststellen, dass komischerweise in der westlichen Welt überall dort Anschläge stattgefunden haben, wo diese Machtinstrumente zum Einsatz kamen.
Schon vor 09/11 hatten amerikanische Geheimdienste Informationen in nahezu unendlichem Ausmaß eingesammelt. Die Sicherheitsbefugnisse der entsprechenden Sicherheitsbehörden – ganz unabhängig, ob Polizei, FBI, CIA oder NSA – waren schon vor 09/11 von einer überbordenden Machtfülle.
Auch in London, mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras weltweit und einer Machtfülle für den Sicherheitsapparat, der mit einem deutschen Demokratieverständnis unvereinbar wäre, konnten all diese Maßnahmen und Befugnisse die U-Bahn-Anschläge in London nicht verhindern.
Es scheint geradezu so zu sein, dass Politik und die Sicherheitsapparatschiks sich konsequent der Erkenntnis verweigern, dass mehr Sicherheit nicht durch mehr Einschränkung der Bürgerrechte und noch mehr Überwachung realisierbar ist. Auch und gerade in Deutschland, das in seiner jüngeren Geschichte zwei Unrechtsregime erlebt hat, sollte diese Entwicklung argwöhnisch und kritisch betrachtet werden.
Was auffällt, ist, dass diese Anschläge zum überwiegenden Teil in Ländern durchgeführt wurden, in denen große Parallelgesellschaften existieren, die nur mangelhaft in die übrige Gesellschaft integriert sind und so oft zu prekären Lebensbiographien führen.
Was bringt junge Menschen dazu, sich zu radikalisieren und ihr Leben wegzuwerfen mit der Aussicht auf Jungfrauen im Paradies? Wohl nur die fehlende Aussicht auf eine angemessene wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe.
Also ist die Integration und das Verhindern von Parallelgesellschaften ein wichtiger Bestandteil von Terrorismusprävention. Allerdings sind dies keine Maßnahmen, die ad hoc und kurzfristig greifen, sondern die in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebunden werden müssen.
Dabei ist auch wichtig, die Integrationsleistung einer entsprechenden Nation nicht zu überfordern. Hier schließt sich der Kreis wieder zu der populistischen Forderung von Asylhöchstgrenzen.
Wer nun glaubt, dass entsprechende Höchstgrenzen mit einem Grundgesetz nicht vereinbar sind, irrt. In einem Essay des Zeit-Magazins wird ganz klar dargelegt, dass politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge natürlich Anrecht auf Asyl haben. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass alle Asylsuchenden in Deutschland aufgenommen werden müssen. Noch viel weniger bedeutet dies, dass der Zustrom an Flüchtlingen die rechtsstaatliche Ordnung gefährden darf.
Deutschland kann nicht alle Asylsuchenden aufnehmen, während sich andere europäische Staaten verweigern. Es ist auch bezeichnend, dass in einer durch die Grünen initiierten Studie Bayern als fremdenfeindlichstes Bundesland tituliert wird. Ausgerechnet, Bayern, wo einzelne kleine Landkreise heute schon mehr Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben als beispielsweise Frankreich.
Es sollte auch klar sein, dass mit dem Zustrom von Kriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten die Messlatte angehoben werden muss, d.h. um den wirklich bedürftigen Menschen zu helfen und die dafür notwendigen Ressourcen zu schaffen bzw. freizumachen, muss die Gewährung von Asyl tatsächlich Verfolgten und Kriegsflüchtlingen vorbehalten bleiben.
Insofern ist eine konsequente Abschiebung von Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, zu befürworten, wenn nicht schwerwiegende humanitäre Gründe dagegen sprechen. Ein Bleiberecht sollten auch Menschen bekommen, die gut integriert sind und von denen zu erwarten ist, dass sie einen positiven gesellschaftlichen Beitrag leisten.
Auch hier ist ein politisches Versäumnis festzustellen, da Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen westlichen Staaten kein Zuwanderungsgesetz kennt.
Was auch nicht verwundert, ist, dass nach den Terroranschlägen von Paris sich die Muslime auch in Deutschland von den Terroristen distanziert haben. Aber auch hier gilt es genau hinzuschauen. Das Problem wurde in vielen Fällen einfach dadurch negiert, dass die offiziellen Vertreter des Islam in Deutschland und anderen europäischen Staaten einfach behauptet haben, die Attentäter wären keine richtigen Muslime.
Was hier fehlt, ist eine kritische Betrachtung und ein Diskurs der Muslime untereinander.
Den Attentätern von Paris religiöse Motive abzusprechen, bedeutet, das Problem zu negieren. Hier ist vor allem auch durch die muslimischen Verbände in Europa eine entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten, gerade im Sinne des Islam. Erst wenn die muslimische Gemeinschaft in Europa erkennt und akzeptiert, dass es innerhalb des Islam unterschiedliche Denkschulen und Richtungen gibt, die teilweise fundamental vom europäischen Islamverständnis abweichen und dies ebenfalls als Teil des Islam akzeptieren, kann eine kritische Diskussion, Ursachenforschung und eine notwendige Aufarbeitung stattfinden.
Sehr geehrte Mitarbeiter der Piratenpartei,
Den Artikel fand ich sehr vernünftig. Vielen Dank
Britta Rodenhauser