Allgemein

Wir und der Fall Depardieu

Aufsatz von Hajo Betz, 1. Vorsitzender der Piraten Neu-Ulm

Mit Gérard Depardieu hat ein populärer Franzose nicht nur Frankreich, sondern dem gesamten europäischen Wirtschaftsraum den Rücken gekehrt. Auslöser für ihn war ein angekündigter Spitzensteuersatz von 75 %, was Depardieu nicht mehr mittragen wollte.

Im gleichen Frankreich wurde im letzten Jahr der allgemeine Satz der Mehrwertsteuer von etwas über 19 % auf über 21 % erhöht.

Klingelt es da bei Ihnen?

In Deutschland werden gerade die genau gleichen Themen vielleicht mit verschiedenen Zahlen, aber der gleichen Intention geführt. In weiten Teilen der Gesellschaft findet eine Diskussion über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Besserverdienende statt, während in der realen Politik mit der Streichung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Dinge des täglichen Grundbedarfs indirekt eine effektive Erhöhung der Mehrwertsteuer eingeführt werden soll.

Während der Spitzensteuersatz scheinbar nur eine kleine Minderheit in seinen effektiven Auswirkungen betrifft, ist jede effektive Erhöhung der Mehrwertsteuer, die ja eine Verbrauchssteuer ist, ein Thema, das uns alle angeht. Einem Gérard Depardieu tut die effektive Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein paar Prozentpunkte nicht weh. Auch ist anzunehmen, dass selbst bei einem Spitzensteuersatz von 75 % immer noch ein ausreichendes verfügbares Einkommen vorliegt, das den Ansprüchen eines französischen Genussmenschen genügen sollte. Aber alle Menschen am anderen Ende der Lohnskala bekommen damit ein ebenso veritables Problem. Wenn das heute verfügbare Haushaltseinkommen gerade eben so ausreicht, um über die Runden zu kommen, wird nach einer entsprechenden Anpassung der Umsatzsteuergesetzgebung die damit verbundene Preissteigerung speziell für die Dinge des täglichen Bedarfs die Familien am unteren Einkommensrand in arge Bedrängnis bringen. Sozial ist das nicht…

Die Umsatzsteuer ist eine der stärksten Einnahmequellen des Staates, und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Steuervergehen in Deutschland härter geahndet werden können als das Herbeiführen einer Atomexplosion.(Kein Scherz- Tatsache!)

Die etablierten Politiker von heute werden nicht müde zu betonen, dass es uns so gut geht wie noch nie. Wir haben eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit, noch nie waren in Deutschland so viele Menschen in Lohn und Brot, die Renten wären sicher, alles wäre auf einem guten Weg, die Steuern werden nicht erhöht und 2014 fallen Weihnachten, Silvester und Ostern auf den gleichen Tag.

Jede einzelne dieser Behauptungen mag vielleicht zutreffen, aber das Gesamtbild ist dennoch nicht stimmig.

Bis in die Mitte der Siebziger Jahre konnte mit einem geringerem Einkommen ein Alleinverdiener seine Familie ernähren und seinen Kindern eine gute oder sogar sehr gute Ausbildung ermöglichen. Und ohne in das Klischee vom Heimchen am Herd zu verfallen, musste der Ehepartner (meistens eben die Ehefrau) nicht arbeiten, damit die Familie über die Runden kam. Doppelverdiener in der Familie waren eine Option, aber in eben oft keine echte wirtschaftliche Notwendigkeit.

Heute scheint das grundlegend anders zu sein. Selbst in den mittleren Einkommensgruppen müssen beide Elternteile arbeiten, um einen akzeptablen Lebensstandard und die Ausbildung der Kinder sicherzustellen, selbst wenn die durchschnittliche Familiengröße aufgrund der geringeren Kinderzahl gesunken ist.

Gleichzeitig hat diese Generation der heutigen Eltern wahrscheinlich die längste Lebensarbeitszeit, die höchsten Rentenversicherungsbeiträge und irgendwann die niedrigsten Rentenansprüche seit dem Bestehen der Bundesrepublik.

Dieses Rentendilemma hätte dabei ohne Weiteres verhindert werden können, wenn die Politik nur rechtzeitig gegengesteuert hätte. Durch eine entsprechende innere Reform des Rentensystems vor ca. 40 Jahren wäre es möglich gewesen, die entsprechenden Härten zu verhindern. Aber die damaligen Politiker waren nicht willens, das Problem durch konsequentes Anwenden der vier Grundrechenarten zu lösen, und haben stattdessen immer weiter und immer mehr Wahlgeschenke verteilt. Bis heute ist trotz dieses Wissens unser aller Rentenkasse auch für die Zahlung versicherungsfremder Leistungen da.

Auch eine Erhöhung der Spitzensteuersätze greift nur bedingt. Wenn Politiker der Globalisierung das Wort reden, sollten sie auch verstehen, dass Globalisierung nicht nur die Globalisierung von Märkten und Kapitalfluss bedeutet, sondern dass in einer globalisierten Welt auch die Bürger globaler geworden sind. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass die Guten und Hochqualifizierten ihre Heimat verlassen, wenn sie in einem anderen Land oder gar auf einem anderen Kontinent eine bessere Perspektive erwarten. Diese bessere Perspektive erschöpft sich nicht nur in den direkten Lebensumständen, sondern eben auch in dort erzielbaren Einkommen und der dort zu schulternden Abgaben- und Steuerlast.

Schon im Jahr 2007 sind offiziell 161.000 deutsche Hochqualifizierte abgewandert. Die tatsächliche Zahl dürfte sich dabei eher an 210.000 orientieren, da die Statistik nur jene Abtrünnigen erfasst, die sich ordnungsgemäß abmelden. Es sind eben genau jene gut qualifizierten, leistungsstarken, risikobereiten und selbstbewussten Menschen, die heute und später fehlen werden als Unternehmensgründer, Fachkräfte und Wissenschaftler. Dabei ist die Zahl der Auswanderer innerhalb der letzten 6 Jahre um 40 % gestiegen, wenn man einer Studie des Prognos Instituts Glauben schenken will.

So wie die Nationen um die Industrieansiedlung und  Großkonzernen konkurrieren, müssen sie künftig auch um entsprechend qualifizierte Menschen konkurrieren. Deutschland muss verstehen, dass schlechtes Wetter, niedrige verfügbare Einkommen und eine hohe Steuerlast keine positiven Alleinstellungsmerkmale sind. Die Gründe die zum Auswandern der Fachkräfte führen sind zudem die gleichen Gründe die auch eine Zuwanderung von Fachkräften verhindern…

Die Politik der letzten 60 Jahre war nicht nachhaltig. Probleme wurden nicht systematisch gelöst, sondern vertagt und verschoben und die Finanzierung aktuell anstehender Aufgaben künftigen Generationen aufgebürdet.

Und so wird heute von der Politik das Fehlen von schlechten Nachrichten schon als gute Nachricht verkauft.

Während die große Vorsitzende der christlichen Parteien mit warmen Worten ankündigt, dass Steuererhöhungen nicht angedacht sind, wird ein paar Zimmer weiter aus der gleichen Partei verkündet, dass der reduzierte Mehrwertsteuersatz abgeschafft werden soll, und der große Vordenker der südlichen Schwesterpartei fordert lauthals die Einführung einer Autobahngebühr. Wir sollten uns auch vor Augen halten, dass Frau Merkel nach bisherigen Erfahrungen zumindest langfristig immer das Gegenteil ihrer eigenen Absichten realisiert, sei es ihre jetzige Zustimmung zum Erziehungsgeld oder der Ausstieg aus dem Ausstieg vom Ausstieg in der Atomenergie.

Wenn es eine gute Nachricht gibt, dann vielleicht die: Es wird wenigstens nicht von Steuerermäßigungen gesprochen. Paradox? Nein! Bisher hat die erforderliche Gegenfinanzierung jeder bisherigen Steuersenkung den Bürger mehr Geld gekostet, als ihm die Steuerersparnis eingebracht hat.

Kranken-, Renten- und sonstige Sozialversicherungen bedürfen dringend einer inneren Reform, mit angemessener Beteiligung aller Bürger. Ebenso brauchen wir eine geringere Staatsquote und ein dramatisch simplifiziertes Steuersystem mit niedrigeren Steuern – wenigstens für die 99% nicht „Superreichen“, also auch für den gehobenen Mittelstand der heute zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft gehört.

Wie können wir all das den „lösen“? Der Staat kann das als Sachwalter für Sozialkassen und Infrastruktur wohl kaum. Wer daran zweifelt, möge einfach die nächste Tageszeitung aufschlagen. Zugegeben – nicht alle Projekte des Staates sind so grandiose Rohrkrepierer wie der Berliner Flughafen oder die Rentenfinanzierung. Die Privatwirschtaft ? Ebenso wenig – ist doch ein Wirtschaftsunternehmen gewinnorientiert und in der Regel nicht dem Gemeinwohl verpflichtet.

Warum nutzen wir nicht die Form von Genossenschaften für all dies? Raiffeisen- und Volksbanken erfüllen mit dieser Rechtsform doch Ihre Aufgaben schon seit über 100 Jahren sehr erfolgreich im Dienste der Allgemeinheit.

Wasserwerke, Stromversorger, Straßenbau, Infrastrukturprojekte aller Art, Kranken-, Renten- und sonstige Sozialversicherungen …als Genossenschaft, so groß wie nötig ( auf Landes- oder Bundesebene) oder so klein als möglich – als regionale oder kommunale Genossenschaft. Mit allen beteiligten Bürgern als Genossenschafter.. Dem Gemeinwohl und dem Bürger direkt verpflichtet. Sogar ARD, ZDF etc. könnten als Genossenschaft abgebildet werden, der Bürger hat es dann selbst in der Hand ob er zusätzlich zu den Hauptsendern noch x-Spartensender und einen ausufernden Internetauftritt will und bezahlt.

Solange dann Aufsichtsrat und Vorstand durch die Bürger gewählt werden und nicht politische Gremien diese Ämter besetzen, werden diese Ämter dann eher nach Eignung denn nach Parteibuch vergeben. So wird das Risiko eines zweiten Berliner Flughafendebakels wenigstens reduziert…

Zudem kann die Realisierung von Großprojekten kann doch auch als BOT erfolgen ( Build – Operate – Transfer“). Dabei wird die  Finanzierung und das Projektrisiko vom Investor geschultert und nach einer vertraglich festgelegten Phase, während derer der Investor seine Kosten amortisiert und Gewinn erwirtschaftet wird das Projekt an die öffentliche Hand zurückgegeben. Das schont die öffentlichen Haushalte und damit den Steuerzahler… und endlich könnte man so die Ausgaben reduzieren als Gegenfinanzierung zu echten Steuererleichterungen.

Das funktioniert überall auf der Welt – auch bei uns.

Und politisch gewollte, aber wirtschaftlich widersinnige Projekte werden nicht realisiert weil sich kein Investor findet oder aber es wird schon während der Ausschreibung, Verhandlungen und Vergabe klar wie viel Geld der Steuerzahler später zuschießen muss….

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert